21.05.2025

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Rente unter Druck

28.12.2006
Ein Seniorenheim im Landkreis Taipeh. Viele Leute vererben ihren Besitz lieber ihren Kindern, als ihn für den eigenen Ruhestand zu verkaufen.

Das Konzept, Kinder aufzuziehen, damit man im Alter von ihnen versorgt wird, verändert sich, doch die Schaffung eines funktionierenden Rentensystems stellt eine neuartige Herausforderung dar.

Ssutu Shu-ping packt mal wieder für eine Reise nach Shanghai. Seit sie vor vier Jahren in Rente ging, verbringt sie gelegentlich mehrere Wochen in der Wohnung, die sie sich dort gekauft hat. "Der einzige Nachteil ist, dass ich dort keine Partner zum Mahjongg-Spielen habe", sagt sie. "Ich denke, das macht nichts, da ich hier viel spiele."

Körperliche Gesundheit ist eine Voraussetzung für häufiges Reisen, doch finanzielle Gesundheit ist ebenso wichtig. Vor ihrer Pensionierung arbeitete Ssutu als Beamtin für die Chunghwa Telecom, die vor ihrer Privatisierung der Telekommunikations-Generaldirektion im Ministerium für Verkehr und Kommunikation unterstellt war und nun das größte Telekom-Dienstleistungsunternehmen des Landes ist. Heute bezieht Ssutu eine ansehnliche monatliche Rente, und obwohl sie keine Auskunft über die Höhe ihres Ruhegeldes erteilt, gibt sie doch zu, dass es mehr oder weniger ihrem Gehalt vor der Pensionierung entspricht. "Man sagt, von einem Beamtengehalt kann man sich weder überfressen noch verhungern", kolportiert sie. "Doch wenn man das Pensionsgeld mit einrechnet, dann bietet der Staatsdienst wohl eine viel größere materielle Sicherheit als der private Sektor."

Nach Angaben der Generaldirektion für Budget, Rechnungswesen und Statistik betrug die Einkommensersatzrate -- Ruhestandsbezüge im Vergleich zum Gehalt vor der Pensionierung -- von Taiwans Staatsdienern im vergangenen Jahr zwischen 103 und 115 Prozent. Ein Schlüsselfaktor für das nach der Pensionierung gestiegene Einkommen ist der Vorzugs-Sparzinssatz von 18 Prozent für pensionierte Beamte, Lehrer und ehemalige Angehörige der Streitkräfte. Der hohe Zinssatz wurde Ende der fünfziger Jahre geschaffen, um staatlichen Pensionären, die vergleichsweise weniger verdienten als Werktätige in anderen Berufen, eine vernünftige materielle Sicherheit zu garantieren. Für die Differenz zwischen den aktuellen Bankzinsen und den 18 Prozent kam der Staat auf. Heute ist diese Vergünstigung beschränkt auf Dienstjahre vor 1995, doch werden Pensionäre, die in den kommenden zehn Jahren in den Ruhestand treten, immer noch viele Dienstjahre vor 1995 vorzuweisen haben. Wenn man bedenkt, dass zur Zeit die Zinssätze der Banken in Taiwan zwischen 1 und 2 Prozent liegen, bedeutet die Überbrückung der Zinsdifferenz eine ernsthafte finanzielle Belastung für den Staat.

Widerstand gegen Wandel

Bevorzugung von Beamten bei den Renten ist in vielen Ländern üblich, aber laut Prüfungs-Yuan(考試院) beträgt die Einkommensersatzrate für gewöhnlich zwischen 60 und 75 Prozent. Vergangenes Jahr verabschiedete der Prüfungs-Yuan einen Vorschlag, die Einkommensersatzrate auf ein vernünftigeres Maximum von 90 Prozent anzupassen. Davon werden schätzungsweise 80 000 Beamte, Lehrer und Angehörige der Streitkräfte betroffen sein, sowohl pensioniert als auch noch im Dienst, und die heftige Kritik an dem Vorhaben war keine Überraschung. "Ob es einem gefällt oder nicht, es ist ein Vertrag zwischen dem Staat und seinen Angestellten", beharrt Ssutu. "Wenn man einen neuen will, ist dagegen nichts einzuwenden, doch das muss von beiden Seiten ausgehandelt werden. Man kann den Vertrag nicht einfach einseitig brechen."

Doch selbst von einer 90-prozentigen Einkommensersatzrate, die der Prüfungs-Yuan vorgeschlagen hat, können Rentner des privaten Sektors nur träumen. Das Gesetz über Arbeitnehmerstandards schreibt vor, dass je nach Dienstalter ein Rentner eine einmalige Pauschalsumme in Höhe von bis zu 45 Monatsgehältern vom Durchschnitt der letzten 6 Beschäftigungsmonate erhalten kann. Das Problem war, dass viele das Geld einfach nicht bekommen konnten. Laut Lee Lai-hsi, Direktor der Planungsabteilung im Rat für Arbeitnehmerangelegenheiten (Council of Labor Affairs, CLA), bestehen Taiwans kleine und mittlere Unternehmen im Schnitt 13 Jahre, doch ein Arbeitnehmer muss mindestens 15 Jahre für ein und dasselbe Unternehmen tätig gewesen und über 55 Jahre alt sein, oder 25 Dienstjahre bei einer Pensionierung unter 55, um Anspruch auf eine Auszahlung zu haben. Zur Behandlung dieses Problems verabschiedete der Legislativ-Yuan(立法院) -- also Taiwans Parlament -- das Rentengesetz. Das im Juli 2005 umgesetzte neue Programm ermöglicht Arbeitnehmern ein mobiles persönliches Konto, das sie mitnehmen können, wenn sie ihre Stelle wechseln oder wenn der Arbeitgeber die Firma schließt. Je nach Dienstalter können Rentner entweder die Gesamtsumme auf einen Schlag bekommen oder sich für eine Monatsrente entscheiden. Für Arbeitnehmer, die nach 30 Jahren in Arbeit und Brot in den Ruhestand treten, beträgt die Monatsrente annähernd die Hälfte ihres früheren Gehaltes.

Geschäftsinhaber sind von dem neuen System dagegen nicht so begeistert. Zwar beträgt der Anteil für den Rentenfonds der Arbeitnehmer nur 6 Prozent des Arbeitnehmerlohnes, verglichen mit 2 bis 15 Prozent unter dem alten System, aber es ist für die Unternehmer nun viel schwerer, sich vor der Zahlung zu drücken. "Das ist eine bedeutende Reform, und sowohl vor als auch nach der Verabschiedung wurde lebhaft darüber diskutiert", berichtet Lee. "Ich glaube, die Menschen werden schließlich dankbar dafür sein, wenn sie in den Ruhestand treten und ihre Rente erhalten."

Rente unter Druck

Bei Zinssätzen zwischen 1 und 2 Prozent kann man sich für den Ruhestand kaum auf die Erträge persönlicher Ersparnisse auf Girokonten verlassen.

Knappe Vorsorge

Zur Zeit können nicht allzu viele Rentner in Taiwan allein von ihrem Ruhegeld leben. Angestellte des privaten Sektors beziehen nur ungefähr ein Fünftel bis ein Viertel von ihrem ursprünglichen Einkommen. Eine Studie des Innenministeriums zeigt, dass im Jahre 2005 lediglich 14 Prozent der Menschen über 65 Jahre von einer Rente lebten. Etwa ein Drittel der Personen dieser Altersgruppe betrachtete staatliche Zuwendungen als ihr wichtigstes Einkommen. Zu diesen Zuwendungen gehören Beihilfen für alte Bauern, Ureinwohner, alte Menschen aus Haushalten mit niedrigen und mittleren Einkommen sowie jene, die nicht von sonstigen Rentenplänen erfasst sind.

Je nach Art der Beihilfe erhält eine Person zwischen 3000 und 6000 NT$ (71 bis 143 Euro) im Monat. Nach den Erläuterungen von Fu Tsung-hsi, Professor an der Sozialabteilung der National Chung Cheng University in Minhsiung (Landkreis Chiayi), begann die Regierung Mitte der neunziger Jahre mit der Ausschüttung dieser Beihilfen, um sich um diese Gruppen zu kümmern, doch das sei keine langfristige Lösung für die materielle Sicherheit alter Menschen. "Diese Beihilfen sind dem Muster nach eher Sozialleistungen, wo die Mittel vom Staat kommen, und nicht so sehr ein finanziertes Rentensystem, wo die Verantwortung zwischen dem Arbeitnehmer, dem Arbeitgeber und dem Staat aufgeteilt ist", definiert er. "In einer alternden Gesellschaft haben immer mehr Menschen Anspruch auf Beihilfen, und die finanzielle Belastung wird sich zu einem schwarzen Loch ausweiten."

Egal welches ihre Haupteinnahmequellen sind, die Senioren scheinen sich keine allzu großen Sorgen wegen Geld zu machen. In der Studie des Innenministeriums fanden beinahe vier Fünftel der Bevölkerung über 65 Jahre ihr monatliches Einkommen mit einem Durchschnitt von 11 715 NT$ (279 Euro) ausreichend für die täglichen Ausgaben. "Früher haben sich alte Menschen am meisten Sorgen über hohe medizinische Ausgaben gemacht, doch das Problem ist mit dem staatlichen Krankenversicherungsprogramm gelöst", bemerkt die 44-jährige Versicherungsagentin Nadine Wang. "Andere Ausgaben wie für Essen, Verkehr, Unterhaltung und so weiter können im Ruhestand sehr flexibel sein."

Kein Verlass auf Kinder

Die Studie des Innenministeriums zeigt, dass über die Hälfte der Menschen über 65 noch in dem traditionellen Konzept verhaftet sind, dass Eltern Kinder großziehen, damit sie im Alter versorgt sind. "Diese Generationen hatten keine Zeit, sich über ihren Ruhestand oder ihre Fähigkeit zur Vorsorge Gedanken zu machen", weiß Wang. "Anstatt zu sagen, dass sie von ihren Kindern unterstützt werden wollen, so wie sie selbst früher ihre Eltern unterstützt haben, bin ich der Ansicht, dass sie eigentlich keine große Wahl hatten."

Wer in den fünfziger Jahren Kinder bekam, als man in der durchschnittlichen Familie fünf Kinder hatte, kann froh sein, wahrscheinlich eine vergleichsweise große Zahl von Kindern zu haben, die sich die finanzielle Last teilen können. Doch die sinkenden Geburtenraten in den letzten vier Jahrzehnten bedeuten, dass die finanzielle Belastung der Fürsorge für betagte Eltern auf weniger Kinder entfällt und dadurch größer wird.

Gemäß Statistiken des Innenministeriums waren im Jahre 1990 für jeden alten Menschen 16 junge Personen für seine Unterstützung da. Diese Zahl ist jetzt auf 7 gefallen, und man erwartet, dass sie in den nächsten zwanzig Jahren weiter auf zwischen 3 und 4 sinkt. Die gute Nachricht wiederum ist, dass die Menschen ihre Einstellung ändern und nicht länger erwarten, im Alter von ihren Kindern versorgt zu werden.

"Das traditionelle Konzept ist nicht mehr anwendbar", urteilt die 47-jährige Shirley Lai, die zwei Töchter im Alter von 15 und 18 Jahren hat. "Sie werden genug eigene Sorgen haben, und da wollen wir nicht noch welche hinzufügen." Sowohl Lai als auch ihr Ehemann arbeiten für Privatunternehmen und rechnen nicht mit großzügigen Ruhegeldern, daher sorgt sie für ihren Lebensabend vor, indem sie rentenartige Lebensversicherungen kauft. Je nach Versicherungspolice kann der Versicherte eine monatliche Pension in Höhe von ein paar Tausend NT$ bis zu 100 000 NT$ (2380 Euro) bekommen. "Jeder hat seine eigenen Vorstellungen darüber, was man für einen Ruhestand will und wieviel man zum Leben braucht", philosophiert sie. "Verglichen mit unseren Eltern haben wir das Glück, dass heute so viele Produkte dieser Art angeboten werden, und wir wissen, dass wir sie kaufen müssen."

Es gibt auch Spar- und Investment-Policen, die (wie der Name schon sagt) Lebensversicherungen mit Investments oder Sparplänen verbinden. Laut Nadine Wang ziehen heute mehr Menschen Erkundigungen über solche Policen ein, was den Schluss zulässt, dass sie zumindest versuchen, Pläne für ihre Rente aufzustellen. Viele Interessenten schrecken jedoch zurück, wenn sie erfahren, dass diese Policen viel teurer sind als einfache Lebensversicherungen. "Jeder Versicherungsvertreter oder Finanzberater erteilt den Rat, so früh wie möglich Pläne für den Ruhestand zu entwerfen", verrät sie. "Das Problem ist, viele Angehörige der so genannten 'Sandwich-Generation' sind so eingeklemmt zwischen Unterstützung der Alten und Erziehung der Kinder, dass für sie einfach nichts mehr zum Investieren in die eigene Rente übrig bleibt."

Es gibt auch Alternativpläne. "Das beste Geschäft macht man, wenn man den letzten Pfennig ausgeben kann, gerade bevor man das Zeitliche segnet", beschreibt der 43-jährige Matt Chuang, seit 15 Jahren Investmentberater. "Man arbeitet 20 Jahre für eine Wohnung, warum sollte man sie dann nicht für 20 Jahre bequemen Ruhestand verkaufen und die Kinder für ihre eigene Zukunft arbeiten lassen?" Das klingt wie ein guter Plan, wenn man bedenkt, dass 85 Prozent der Taiwaner ein Eigenheim besitzen, doch Chuang räumt ein, dass die meisten Menschen den Gedanken zu radikal finden. Obwohl viele Eltern nicht erwarten, sich auf ihre Kinder zu stützen, denken sie doch, dass sie ihnen zumindest etwas hinterlassen sollten.

Rente unter Druck

Für einen entspannten Lebensabend ist finanzielle Gesundheit ebenso wichtig wie leibliches Wohl. (Foto: Huang Chung-hsin)

Sache des Staates

Wenn kommerzielle Renten unerschwinglich sind und der Verkauf von Eigentum nicht in Frage kommt, scheint es darauf hinauszulaufen, wieviel die Menschen von ihren Arbeitgebern oder dem Staat bekommen können. Fu Tsung-hsi weist auf einen ernsten Fehler im bestehenden System hin, nämlich dass es abgesehen davon, ob es denn wirklich eine finanziell sichere Rente garantieren kann, nur jene erfasst, die erwerbstätig sind. "Wer nicht im Arbeitsmarkt eingegliedert ist, Hausfrauen zum Beispiel, kriegt im Alter gar nichts", warnt er. "Die einzige Lösung ist ein staatlicher Rentenplan, der alle Senioren erfasst und auch die, die bald alt sein werden."

Die Notwendigkeit für einen solchen staatlichen Rentenplan wird seit mindestens einem Jahrzehnt diskutiert, und die Regierung arbeitet seit 1993 an einem Plan. Der Exekutiv-Yuan -- also Taiwans Regierungskabinett -- hat dem Parlament einen staatlichen Rentenplan zur Billigung vorgelegt. Dieses Gesetz schlägt eine monatliche bedürftigkeitsorientierte Rente von 7500 NT$ (178 Euro) für Menschen über 65 Jahren vor. Die Oppositionsparteien und Sozialverbände werben daneben für ihre eigenen Versionen. "Das Programm ist schon seit einigen Jahren diskutiert und besprochen worden, aber es gibt keine Einigkeit darüber, welches System am besten zu Taiwan passt", seufzt Fu.

Während das staatliche Rentenprogramm weiter diskutiert wird, müssen 63 Prozent der erwerbstätigen Menschen zwischen 50 und 64 Jahren auf der Schwelle zum Lebensabend erst noch anfangen, Pläne für ihre Rente aufzustellen. Viele von ihnen zählen zur Sandwichgeneration und haben einfach nicht den Luxus, Pläne schmieden zu können. Manche von ihnen brauchen aber vielleicht auch keine. Rund ein Sechstel der Menschen über 65 arbeitet weiter, die meisten von ihnen Selbständige im landwirtschaftlichen Bereich. Wenn man bei Sonnenaufgang aufsteht und bis zum letzten Atemzug arbeitet, braucht man sich über Ruhestand keine Gedanken zu machen.

(Deutsch von Tilman Aretz)

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